Interview mit Dr. Danielle Spera
Die in Wien geborene und promovierte Kommunikationswissenschaftlerin leitet das Jüdische Museum seit dem Jahr 2010. Vielen ist sie noch immer als „das“ Gesicht der Hauptabendnachrichtensendung „Zeit im Bild“ präsent. Mit dem Nationalratsabgeordneten Mag. Martin Engelberg ist sie seit 26 Jahren verheiratet und sie haben gemeinsam drei Kinder. Anlässlich ihres 10jährigen Jubiläums als Direktorin des mittlerweile weltweit bekannten und ausgezeichneten Hauses in der Dorotheergasse durften wir ein Interview mit ihr führen.
Sefardinews (SN): Es freut uns sehr, dass Sie sich gerade in diesem turbulenten Jahr Zeit für unser Interview genommen haben. Haben Sie im Moment überhaupt noch Freizeit?
Dr. Danielle Spera (DS): Ich möchte mich herzlich für die Gelegenheit bedanken, mit den Leserinnen und Lesern von Sefardinews auf diesem Weg in Kontakt treten zu dürfen! Es ist sicherlich ein außergewöhnliches Jahr, nicht nur für Österreich, sondern auch international. In Österreich haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg in einer besonders glücklichen Situation gelebt, in Frieden und ohne einschneidende Krisen bewältigen zu müssen. Nun erleben wir zum ersten Mal eine langandauernde Ausnahmesituation, mit der wir alle erst lernen mussten umzugehen. Auch der Kulturbereich ist hier stark betroffen. Vor allem da wir als jüdisches Museum ein wichtiger außerschulischer Lernort sind und viele Kooperationen mit Schulen betreiben.
SN: Wie wirkt sich die „Coronakrise“ auf Ihr Haus aus?
DS: Bedauerlicherweise ist das Jüdische Museum wie alle anderen Kulturinstitutionen auch vom zweiten Lockdown betroffen. Schon der erste Lockdown war eine enorme Herausforderung. Wir haben uns mit den Ausstellungen und Führungen in den digitalen Raum verlegen müssen und hoffen sehr, dass wir bald wieder aufsperren dürfen. Was die Pandemie betrifft stellen Museen sichere Räume dar. Die Kulturinstitutionen haben strikte Präventionskonzepte erarbeitet. In den Museen müssen die Klimabedingungen immer überprüft werden und auf dem letzten Stand sein, da wertvolle Objekte aufbewahrt und ausgestellt werden. Dies ist in Zeiten der Pandemie von großem Vorteil, da unsere Besucherinnen und Besucher ein optimales Klima und gute Durchlüftung vorfinden. Und wir können unsere Besucherströme gut einteilen. Daher wäre es äußerst wünschenswert, dass die Kulturinstitutionen ihre Türen wieder offenhalten können.
SN: Wir erleben gerade ein Biedermeiern 2.0. Glauben Sie, dass sich Museen stärker ihrem Onlineangebot widmen werden?
DS: Das Onlineangebot der Museen war bereits vor der Pandemie ein wichtiger Bereich für die Museen. Durch die Schließung der Museen ist es ein essentieller Zweig unserer Arbeit geworden. Hier gibt es eine ganze Fülle an Möglichkeiten, mit den Besucherinnen und Besuchern in Kontakt zu bleiben. Allerdings bleibt eine direkte Begegnung – auch mit den Objekten – immer das authentische Erlebnis.
SN: Was wäre Wien ohne Museen?
DS: Wien ohne Museen wäre unvorstellbar. Die Kultur ist ein essentieller Bestandteil unserer Stadt, unseres Landes, denn Österreich ist eine Kulturnation. In ganz Österreich gibt es interessante Museen, in einer Vielfalt, die einzigartig ist. In Wien kann man viele Wochen verbringen und man wird die Museumslandschaft noch immer nicht vollständig erforscht haben. Hier brauchen wir den Vergleich mit anderen Städten der Welt nicht scheuen, im Gegenteil!
SN: Im Zuge der Bedrohung durch COVID-19 erleben wir eine weitere Pandemie; die (weltweite) Bedrohung durch den Antisemitismus. Welchen Stellenwert nimmt das Jüdische Museum beim Kampf gegen Antisemitismus ein?
DS: Das Jüdische Museum arbeitet mit Schulklassen, mit Studierenden und Flüchtlingsgruppen aus dem Nahen Osten in einem Dialog. Hier vermitteln wir die Jüdische Geschichte (inklusive der österreichischen Nachkriegsgeschichte), den jüdischen Beitrag zur österreichischen Gesellschaft und sind ein lebendiger Ort der Begegnung zwischen Kulturen, Traditionen und verschiedenen Religionen. Wir begrüßten (vor dem Lockdown) täglich Schulklassen, von der ersten Klasse Volksschule bis zur Matura, mit denen wir auch über die vielen Gemeinsamkeiten sprechen. Seit vier Jahren gestalten wir Programme mit Flüchtlingen aus dem Irak, Afghanistan oder Syrien. Das sind besonders spannende Begegnungen, die vermitteln, dass jede jüdische Geschichte auch eine Geschichte der Migration, des schmerzhaften Verlustes und des Neuanfangs ist. Hier erkennen sie, dass es ein enorm vielschichtiges Thema ist. D.h. wir vermitteln den Holocaust mit vielen verschiedenen Programmen (wir bieten mehr als 40 verschiedene Vermittlungsprogramme an, die sich jede Gruppe individuell aussuchen kann) , die aber immer im Dialog stattfinden und vor allem nicht mit dem „Holzhammer“.
SN: Außenminister Mag. Alexander Schallenberg hat in seinem Interview mit uns angegeben, dass wir in Österreich einen „stake Gedenkkultur“ aufweisen. Glauben Sie, hat ihr Haus maßgeblich dazu beigetragen?
DS: In Österreich werden heute alle Gedenktage sehr respektvoll eingehalten. Von der Politik genauso wie von der Zivilbevölkerung. Auch das hat lange gedauert, nun ist es aus dem Jahreskreislauf nicht mehr wegzudenken. Wesentlich ist, dass es in Österreich nicht bei der Gedenkkultur geblieben ist, sondern es ein starkes Bekenntnis zur vorbehaltlosen Unterstützung der österreichischen Jüdinnen und Juden gibt. Im Jüdischen Museum Wien erzählen viele unserer Objekte Geschichten des Gedenkens und Erinnerns auch an die tragischen Aspekte unserer Geschichte. Uns ist aber genauso wichtig auf das jüdische Leben hinzuweisen, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wir tragen daher zur Gedenkkultur aber auch zum Wissen über das Judentum in den verschiedensten Facetten bei.
SN: Welche Berührungspunkte haben Sie mit der sephardischen, vor allem der bucharischen Gemeinde in Österreich?
DS: Die bucharische Gemeinde ist ein essentieller Teil der jüdischen Gemeinde in Österreich. Es ist eine starke Gemeinschaft, die ich als unglaublich engagiert, initiativ, kreativ und hilfsbereit erlebe, die in vielen Bereichen der österreichischen Gesellschaft aktiv ist. Es sind Menschen, die sich in erster Generation hier komplett neu erfinden mussten und denen dies auch durch viel Fleiß und Disziplin gelungen ist. Ich durfte das in meiner Jugend erleben, durch unmittelbare Nachbarschaft mit einer Familie, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Wien kam und deren Aufbau ich hier hautnah nachvollziehen konnte.
SN: Sehen Sie in der „Coronakrise“ auch Chancen?
DS: Jede Krise birgt auch viele Chancen. Es ist wesentlich von Bedeutung, dass wir Herausforderungen meistern. Das ist auch ein zutiefst jüdischer Grundsatz und wir haben über Jahrhunderte bewiesen, dass uns das gelingen kann. Die Corona-Krise hat jedenfalls die Wissenschaft, Forschung und Medizin vorangebracht. Hier wurden Hochleistungen erbracht. Gleichzeitig hat sie die Menschen dazu bewegt, sich mit sich selbst und den engsten Verwandten intensiv zu beschäftigen. Das war vielleicht in unserer übersättigten Welt eine wertvolle Wendung, hin zu den wesentlichen Dingen im Leben.
SN: Sie haben in einem Interview berichtet, dass Ihr Mann und auch Sie COVD-19 positiv getestet wurden. Einige Leserinnen und Leser stehen noch vor dieser Erfahrung; welche Informationen und Tipps können Sie ihnen mitgeben?
DS: Das Wichtigste ist, diese Krankheit keinesfalls zu unterschätzen. Besonders schwierig ist die Tatsache, dass der Verlauf kein Muster zulässt. Die Infektion wirkt sich bei jedem Menschen anders aus, manche zeigen gar keine oder nur leichte Symptome, gleichzeitig sterben auch viele Patienten, die keine Vorerkrankungen hatten. Vor allem sind auch die Nachwirkungen und langfristigen Folgen noch nicht ganz erforscht. Damit hatte ich nicht gerechnet und hatte bedauerlicherweise massiv damit zu kämpfen. Mein Rat: bitte alle Schutzmaßnahmen beachten, sich testen lassen, wenn man sich krank fühlt, zu Hause bleiben. Auf sich selbst und seine Mitmenschen achten
SN: Wir erleben gerade eine Zeit der Veränderung und viele von uns müssen sich auch beruflich verändern. Wie schwer ist Ihnen der Weggang vom ORF gefallen?
DS: Dem Jüdischen Museum Wien galt immer schon mein großes Interesse, seit seiner Wiedergründung. Ich hatte es bedauert, dass das Museum nicht mehr im Fokus des Interesses stand, daher habe ich mich um die Leitung beworben. Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Wien ist so eng mit der Geschichte der Stadt verwoben, das gilt es, möglichst vielen Menschen näher zu bringen. Das wollte ich erreichen, daher ist mir der Weggang vom ORF nicht schwergefallen. Glücklicherweise bin ich auch noch immer eng mit dem ORF verbunden, durch viele gemeinsame Projekte mit dem Jüdischen Museum. Dafür bin ich dem ORF sehr dankbar.
SN: Chanukka steht vor der Tür. Dürfen wir Sie abschließend noch an Ihr schönstes Chanukka-Erlebnis fragen?
DS: Vor einem Jahr hat unsere Familie eine Reise nach Afrika unternommen. Es war großartig für uns zu erleben, dass vor dem Rathaus der Hauptstadt von Ruanda eine riesige Chanukkiah aufgestellt war. Mein Mann, die Kinder und ich haben jeden Abend die Kerzen gezündet, selbst in der freien Natur im tiefsten Tansania zwischen Löwen und Elefanten. Das war ein einzigartiges Erlebnis.
SN: Vielen herzlichen Dank für das Interview; wir wünschen Ihnen gerade jetzt in dieser Zeit viel Kraft und Ausdauer für die kommenden Wochen und „Chag sameach“.