Interview mit Außenminister Mag. Alexander Schallenberg

Sefardinews (SN): Sehr geehrter Herr Außenminister, es freut uns sehr, dass Sie sich gerade in diesen turbulenten Tagen Zeit genommen haben, mit uns ein Interview zu führen. Haben Sie im Moment auch Zeit für Erholung, oder sind Sie im Moment rund um die Uhr beschäftigt?

Außenminister Alexander Schallenberg (AS): In der Tat gibt es derzeit viel zu tun: Hier im Außenministerium und an den österreichischen Vertretungsbehörden weltweit können wir auf die größte Rückholaktion aller Zeiten zurückblicken. Nun arbeiten wir mit dem gleichen Engagement an der Rückkehr zur neuen Normalität.

SN: Wie wirkt sich die Coronakrise auf die Außenpolitik aus?

AS: Auch die Außenpolitik hat sich vorübergehend in den digitalen Raum verlagert. Ich war in den vergangenen Wochen besonders mit meinen Amtskollegen in den Nachbarstaaten in fast täglichem Kontakt, sei es per Videokonferenz oder in Telefonaten. Der internationale Austausch funktioniert also auch auf diese Weise, wenngleich das langfristig natürlich nicht immer ein adäquater Ersatz für ein persönliches Treffen ist.

SN: Wie erleben Sie eine weitere Pandemie; die (weltweite) Bedrohung durch den Antisemitismus?

AS: In Österreich hat glücklicherweise eine starke Gedenkkultur etabliert. Diese ist essenziell – denn man darf die Augen nie vor den Gräueln der Geschichte verschließen. Leider wird aber immer wieder über antisemitische Vorfälle und Gewalt in aller Welt berichtet. Gerade auch deshalb ist es Auftrag der Regierung, sich sowohl in Österreich als auch auf internationaler Ebene konsequent für die Bekämpfung des Antisemitismus einzusetzen.

SN: Welche Pläne gibt es für eine länderübergreifende Bekämpfung des Antisemitismus?

AS: Bereits während des österreichischen EU-Ratsvorsitzes haben wir uns für die Annahme einer Erklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus eingesetzt, die Maßnahmen gegen Hassverbrechen, stärkere Unterstützung für die Sicherheit jüdischer Gemeinschaften und die Ausarbeitung nationaler Strategien vorsieht. Die zuständige Ministerin im Bundeskanzleramt setzt sich weiterhin für eine Stärkung dieser Maßnahmen ein.

SN: Gilt es Ihrer Meinung nach in „alten“ und „neuen“ Antisemitismus zu unterscheiden?

AS: Antisemitismus begründet sich in tief verwurzelten Vorurteilen, die jeglicher Grundlage entbehren, aber auch heute noch eine persönliche Bedrohung für viele Jüdinnen und Juden darstellt. Im Laufe der Geschichte haben sich die Argumentationslinien antisemitischer Bewegungen geändert. Klar ist aber: Jegliche Form von Antisemitismus ist völlig inakzeptabel und darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

SN: Israel hat leider noch immer einen „schlechten Ruf“ in Österreich. Wie sind Ihre Erfahrungen damit, aber viel wichtiger, wie sind Ihre Beziehungen zu Israel?

AS: Die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Israel sind heute besser denn je. Neben dem regelmäßigen politischen Dialog haben sich in vielen Bereichen Kollaborationen ergeben. 2018 wurde etwa ein Archivabkommen mit der Gedenkstätte Yad Vashem unterzeichnet, um den Austausch österreichischer und israelischer Wissenschaftler zu fördern, im vergangenen Jahr haben wir ein Technologiebüro in Tel Aviv eröffnet. Besonders jetzt, beim Austausch im Umgang mit COVID-19, spiegeln sich diese sehr guten Beziehungen wider.

SN: Welche Berührungspunkte haben Sie mit der sephardischen, vor allem der bucharischen Gemeinde in Österreich?

AS: Das Außenministerium pflegt einen wichtigen Dialog mit der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, in der auch die bucharische Gemeinde stark vertreten ist. Selbstverständlich arbeiten auch die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland mit dem jeweiligen Teil der jüdischen Gemeinde zusammen.

SN: Gibt es Projekte, die Sie mit der jüdischen Gemeinde umsetzen wollen?

AS: Insbesondere im Bereich der kulturellen Auslandsbeziehungen gibt es fortlaufende Projekte mit der jüdischen Gemeinde. Auch die Botschaften und Kulturforen pflegen enge Beziehungen zu Vertretern der jüdischen Gemeinde, und es ergeben sich immer wieder spannende Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

SN: Wie glauben Sie, wird sich die Zentralasiatische Region in den nächsten Jahren entwickeln und welche Rolle spielt Österreich dabei?

AS: Die wohl markanteste Entwicklung in Zentralasien in den letzten Jahren war aus meiner Sicht die Öffnung Usbekistans, die eine Chance für die gesamte Region ist. Darauf hat auch die EU reagiert, allen voran mit einer neuen Zentralasienstrategie, an der Österreich aktiv mitgearbeitet hat.

SN: Denken Sie, dass sich die Beziehung zu Russland in absehbarer Zeit verbessert?

AS: Österreich trägt die gemeinsame EU-Politik gegenüber Russland mit. Gleichzeitig setzen wir uns für regelmäßigen Dialog mit Russland ein. Sicherheit, Stabilität und ein nachhaltiger Frieden in Europa sind nur gemeinsam mit Russland möglich. So wurde zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen und zur Stärkung des gegenseitigen Verständnisses vor einem Jahr der „Sotschi Dialog“, eine Plattform für den zivilgesellschaftlichen Austausch, aus der Taufe gehoben. In der Außenpolitik gilt der Grundsatz, dass vor allem der Dialog zur Bewältigung außenpolitischer Krisen beiträgt und für diesen Grundsatz setzt sich Österreich immer wieder ein.

SN: Das kleine Österreich im Herzen Europas – welche Rolle spielt es auf der „internationalen“ Bühne?

AS: Österreich spielt im internationalen Umfeld durchaus eine Rolle, nicht nur als einer der Amtssitze der Vereinten Nationen. Wir gelten als konstruktiver und verlässlicher Partner und genießen sehr hohes Vertrauen in der Welt. Gerade Wien hat sich als Ort des internationalen Dialogs bewährt, darauf wollen wir auch in Zukunft aufbauen und weiter als Brückenbauer fungieren.

SN: Als bucharische Juden haben wir eine große Diaspora in den Vereinigten Staate; kleine Gemeinschaften findet man ebenso in Kanada, Russland, Australien, usw… Wann glauben Sie, werden sich die Reisebeschränkungen lockern?

AS: Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, haben wir im März vorübergehende Einreisebeschränkungen eingeführt. Diese restriktiven Maßnahmen waren wichtig und richtig: Das zeigt sich unter anderem in der sehr guten Entwicklung der Infektionszahl. Sie erlaubt es uns, dass es nun schon zu ersten Lockerungen des Grenzregimes kommt. Mit der Wiederherstellung der weltweiten Reisefreiheit, wie sie vor Corona bestand, rechne ich nicht so schnell.

SN: Vielen herzlichen Dank für das Interview; wir wünschen Ihnen gerade jetzt viel Kraft und Ausdauer für die kommenden Wochen.

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