Eine Reise nach Marokko

Die Kultur- und Religionsabteilung unserer Gemeinde hat für unsere Damen eine Studienreise nach Marokko organisiert. Zweifelsohne muss man der Initiative und dem Organisationstalent unseres Vorstandsmitgliedes Rina Kaikova Tribut zollen. Auf ihr Konto gehen zahlreiche gut organisierte Reisen zu den heiligen Plätzen der jüdischen Vergangenheit in Israel, Europa, den USA und vielen anderen Ländern mit einem reichen jüdischen Erbe. Diesmal war es Nordafrika.

Das Wort hat nun Rina Kaikova:

– Bevor ich diese Reise organisiert habe, bin ich wie immer die Internetseiten durchgegangen: ich habe mir die Geschichte des Landes und der Bevölkerung, sowie alles sonstige Interessante angesehen. Das gleiche riet ich meinen Mädchen zu tun. Die Gruppe umfasste an die zwanzig Frauen, die den innigen Wunsch hegten, Marokko zu erleben, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und die Grabstätten jüdischer Gelehrter zu besuchen.

Unsere Reise begann am 18. November und dauerte acht Tage. Wir landeten spätabends am Flughafen der Stadt Agadir und quartierten uns in einem außergewöhnlichen Hotel ein, wo wir bereits von einem speziellen Service-Team erwartet wurden. Es empfing unsere Gruppe mit nationalen Tänzen und einzigartiger Musik, und zu guter Letzt, vor dem Schlafengehen, wurde uns duftender Tee gereicht.

Bereits am nächsten Morgen, dem Freitag, waren wir bereit, ins Märchenland einzutauchen. Ein komfortabler Reisebus mit Führer brachte uns in wenigen Stunden ins schöne Casablanca. In dieser Stadt gibt es die einzige jüdische Gesamtschule des Königreichs – «Neve Shalom». Wir konnten miterleben, wie die Kinder auf dem Schulhof spielten, Hebräisch lernten und jüdische Lieder sangen. In der Stadt konnte man auch die Synagogen «Beit El» und «Aim a-banim» besuchen. Im Küstengebiet von Corniche, nicht weit vom Strand entfernt, steht die neue Synagoge «David a-melech». Casablanca hat, wie auch einige andere Städte, koschere Restaurants und Bäckereien. In einem der koscheren Restaurants in der Nähe unseres Hotels feierten wir den Sabbat, der Tisch wurde nach den besten Traditionen der Küche des marokkanischen Judentums gedeckt. Der Sabbat war wirklich sehr informativ und interessant.

Fes

Am Sonntagmorgen machten wir uns auf den Weg in die Stadt Fes, unterwegs hielten wir an interessanten Sehenswürdigkeiten an. Einen beeindruckenden Zwischenstopp gab es beim Königspalast in Rabat, der Hauptstadt des Landes – bei der Residenz des marokkanischen Königs Mohammed VI. Dieser Ort gilt zu Recht als das Zentrum des administrativen und politischen Lebens des Staates. Er befindet sich in der Altstadt – der Medina. Der Palast wurde 1864 im traditionellen arabischen Stil errichtet, in Form eines riesigen Komplexes – eines langen, zweistöckigen gelb-orangen Gebäudes mit grünem Dach und kleinen Türmchen, verziert mit geschnitzten Bögen, Malerei und Mosaiken. Der Eingang wird von alten Kanonen gesichert. Das Territorium um den Palast ist mit reichen Blumengärten und gepflegten Rasenflächen geschmückt. Rundherum wachsen Hibiskus, Bananen- und Feigenbäume. Im Garten gibt es einen schönen, mehrstrahligen Brunnen, der heilig ist. Im Wasser kann man Fische, Schlangen und Schildkröten schwimmen sehen. Dieser Ort gleicht mehr einem Märchenpalast, als einer politischen und administrativen Institution. Neben dem Königlichen Palast von Rabat befindet sich die königliche Familienmoschee des Sultans, Ahl-Fas. Hier spricht König Mohammed VI. jeden Freitagnachmittag ein Gebet und das marokkanische Volk kann seinen Herrscher sehen. Der Palast wird von königlichen Gardisten, Militär und Polizisten bewacht. Der Tradition nach lebt die königliche Garde zusammen mit ihren Verwandten in der Residenz. Direkt vor dem königlichen Palast von Rabat befindet sich der riesige Meshvar–Platz, ein «Ort der Begegnung und Beratung».

 

Die nächste Station war bereits Fes. Unser Fremdenführer erzählte, dass im 17. Jahrhundert in der Stadt eine große jüdische Gemeinde lebte, es gab die Synagoge «Ibn-Danan». Sie wurde in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts dank der Hilfe des World Monuments Fund und American Express restauriert. König Mohammed VI. hat sich ebenfalls verpflichtet, jüdische Denkmäler, die über ganz Marokko verstreut sind, wiederzubeleben.

In den Jahren 1159-1165 lebte in Fes der größte jüdische Gelehrte des Mittelalters, Rambam (Maimonides). Bis heute ist sein Haus mit einer halbverwischten Inschrift auf Stein erhalten geblieben, die bezeugt, dass der Gelehrte tatsächlich sechs Jahre seines Lebens hier verbracht hat.

Die Mella (das Ghetto) in Fes ähnelt einem Labyrinth, das aus Stein gehauen ist. Es ist ein Vergnügen, hier spazieren zu gehen, obwohl das Risiko besteht, verloren zu gehen. Die erste Mella in Marokko wurde 1438 gegründet. Auf dem örtlichen Friedhof sind mehrere berühmte Rabbiner begraben. Ein Grab, das unter Frauen besonders verehrt wird, ist das Grab einer jüdischen Schönheit namens Sulik, die 1834 mit 17 Jahren enthauptet wurde, weil sie sich weigerte, den Islam anzunehmen. Sie wurde zum Symbol für Bescheidenheit und Treue zum jüdischen Glauben. Wir beteten an ihrem Grab und vor den sterblichen Überresten des Rabbiners Moshe ben Atar und zündeten Kerzen an.

Marrakesch

In Marrakesch wird Medina wegen des roten Farbtons der Gebäude und Bauten als die «rote Stadt» bezeichnet. In seinem Zentrum befindet sich der Djemaa el Fna Platz, wo man die Darbietungen von Akrobaten, Schlangenbeschwörern und Musikern bewundern kann. Es ist der größte Platz der Stadt und eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Marokkos. Nirgendwo sonst ist die mystische Atmosphäre des alten Orients so zu spüren, wie hier: tagelang finden ringsherum Aufführungen verschiedenster Straßenkünstler statt, es gibt Imbissstände auf Rädern, die Stimmen des bunten Basars und der Folkloremusik verschmelzen ineinander zu einem einzigartigen orientalischen Klang.

In der Stadt leben heute noch etwa 100 Juden und ein Teil davon wohnt im alten jüdischen Viertel – der Mella. Hier sind einige Synagogen erhalten geblieben, darunter die winzige blau-weiße «Lazama». Sie ist im Jahre 1492 erbaut und später umgestaltet worden. Die Schriftrollen der Thora, die hier aufbewahrt werden, wurden auf Pergament geschrieben, das nicht wie üblich aus Kuh-Leder, sondern aus Gazellen-Leder besteht.

Auch außerhalb der Mella gibt es eine Synagoge. Sie liegt im europäisierten Bezirk Geliz und trägt den Namen «Beit El».

Ein kleiner Ausflug in die Geschichte von unserem Fremdenführer

Die Stadt Marrakesch liegt im Südwesten Marokkos am Fuße des Atlasgebirges und gilt als eine der «vier Kaiserstädte Marokkos». Sie ist nach Casablanca und Rabat die drittgrößte Stadt Marokkos. Die Sehenswürdigkeiten zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Marrakesch wurde im Jahr 1062 von Yusuf ibn Tashfin, dem ersten Herrscher der El-Murabitin-Dynastie, gegründet.

Bereits bei der Gründung der Stadt haben sich hier viele Juden angesiedelt. Nach der Vertreibung der Juden aus Spanien ließen sich viele von ihnen in dieser Stadt nieder. In der Stadt wird der berühmte Rabbiner Yitzhak Daloya (16. Jahrhundert) sehr verehrt.

In Marrakesch gab es das jüdische Viertel El Mella mit einem Tor, das nach Chaim Bin Atar benannt wurde. Rund um Marrakesch liegen die Gräber jüdischer Heiliger aus ganz Marokko. In der Nähe von »Sidi Rahal” steht das Mausoleum von Jacob Mahamias, genannt Mul Almay. Südlich von Marrakesch, in der alten Stadt Agbalu, im Tal des Flusses Urica, befindet sich das Grab von Salomon Bel-Hench, bewacht von den alten Berber-Juden Marokkos. Eine weitere alte Synagoge ist die „Lazama-Synagoge“, die der Legende nach in der Zeit des zweiten Tempels gebaut wurde. In der Stadt gibt es auch andere Synagogen, die von den Rabbinern Pinhas und Bitton geleitet werden, unter anderem die «El Faziines».

Es ist auch ein alter jüdischer Friedhof erhalten geblieben.

Heute bemüht sich Dr. Eric Daloya, ein Nachkomme von Rabbiner Yitzhak Daloya, die jüdischen Sehenswürdigkeiten und heiligen Stätten in Marrakesch zu bewahren.

Während der gesamten Reise wurde unsere Frauengruppe vom jüdischen Sicherheitsdienst begleitet, wofür wir sehr dankbar sind. Unsere Tour war hauptsächlich auf drei Städte ausgerichtet – Casablanca, Fes und Marrakesch. In diesen Städten besuchten wir laute und sonnendurchflutete Basare, orientalische Geschäfte und große Einkaufszentren, wir haben eingekauft und um notwendige oder unnötige Dinge gefeilscht. Wenn Sie äußerlich nicht wie ein Araber aussehen, dann erhöht sich der Preis für jedes Produkt automatisch um das 4-fache. Ihre Aufgabe ist es, so viel wie möglich herunterzuhandeln. Und je besser Sie das können, umso mehr wird Sie der Verkäufer respektieren. Historisch gesehen sind die Marokkaner ein Volk der Kaufleute. Für sie ist der Verkaufsprozess ein bestimmtes Ritual, ein psychologisches Spiel. Wenn Sie nicht nach ihren Regeln spielen wollen, dann werden Sie für alles zu viel bezahlen.

Wir haben viel gescherzt, gelacht und unzählige Fotos gemacht. Schaukelnd sind wir auf faulen Kamelen geritten und in Kutschen mit weißen Pferden gefahren. Wir sind durch den paradiesischen Jardin «Majorelle» spaziert und haben über die geschmackvoll gestalteten Blumenbeete und botanischen Meisterwerke gestaunt. Wir waren bei Aufführungen im wunderschönen Schloss «Ouahat Sidi Brahim”, wo unter Miteinbeziehung der Landschaft groß angelegte Produktionen in Anlehnung an orientalische Märchen wie Aladdin und Ali Baba, kurz gesagt wie aus Tausend und einer Nacht, aufgeführt wurden. Wir besuchten eine Manufaktur für Lederverarbeitung. Wie uns gesagt wurde, sei dies eines der wenigen Unternehmen, in dem die Haut von Tieren noch nach alter Tradition von Hand verarbeitet wird. Wir beteten an den Gräbern jüdischer Gelehrter und besuchten mit großem Interesse Synagogen und Orte, die mit der jüdischen Geschichte verbunden sind.

Unsere Frauengruppe war begeistert vom Besuch dieses märchenhaften Landes.

Das Material wurde aufbereitet von

SHLOMO USTONIAZOV

Präsident der Bucharisch-Jüdischen Gemeinde

Wien, November 2021

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